Jeder, der ein Smartphone hat, kennt die Prozedur: Einmal am Tag muss das Gerät für mehrere Stunden ans Netz. Ich habe mir angewöhnt, meines immer vor dem Einschlafen an den Strom zu hängen, damit ich am nächsten Morgen mit einem frisch geladenen Smartphone aufstehe. Selten gibt es aber dann die Tage, da reicht mein Akku nicht einmal bis zum Abend und ich muss ihn zwischendurch schon aufladen. Aber es geht nicht nur mir so. Dauernd die Akku-Anzeige im Blick zu haben ist für viele nichts ungewöhnliches. Ein Ladekabel überall mitzunehmen genauso wenig.

Wir verdanken diese Umstände vor allem der aufwändigeren Hardware, mehr Prozessorkernen, hochauflösenderen Displays und rechenintensiveren Betriebssystemen. Zusammen mit immer dünneren Gehäusen, die den Platz für  Akkus einschränken, ergibt dies eine fatale Kombination: Die Akkulaufzeit sinkt unweigerlich. Von Seiten der Hersteller wird argumentiert, dass genau diese Features vom Markt gefordert werden und man selbst gegenüber den Mitbewerbern nicht ins Hintertreffen geraten will. Gleichzeitig bildet sich langsam aber sicher eine kleine   Konsumenten-Gruppe, die sich von der schwachen Akkulaufzeit  eingeschränkt fühlt. Die nicht ihr tägliches Leben nach dem Strom-Hunger ihrer digitalen Begleiter ausrichten will. Bevor Smartphones den Handy-Markt eingenommen haben war es keine Seltenheit, dass man mehrere Tage oder sogar eine Woche ohne zusätzliche Stromquelle ausgekommen ist. Die Frage ist, ob wir nicht bald an einem Punkt ankommen sind, wo man in die Entwicklung von akkuschonenden Technologien investieren sollte anstatt immer größere Displays und Prozessoren mit mehr Kernen auf den Markt zu bringen.

Denn seien wir mal ehrlich: Der derzeitige Technologiestand, was Rechenleistung, Displayauflösung und Größe anbelangt, ist für die meisten Einsatzzwecke ausreichend. Natürlich muss man mit solchen Aussagen vorsichtig sein *hust*, es spricht aber einiges für diese These. Nicht umsonst integrieren manche Android-Hersteller bei ihren Flagship-Phones einen Stromspar-Switch, der zusätzliche Prozessorkerne abschaltet und damit den Energieverbrauch vermindert.

Ich hatte im Sommer das Lumia 720 von Nokia für einige Wochen zum Testen und benutzte dieses viele Tage als Hauptgerät. Das 720 ist eindeutig als Mid-Range Gerät positioniert und hat – wie ich finde – einen alles überwiegenden Vorteil: Die Akkulaufzeit. Ich habe nicht schlecht gestaunt als ich eines Abends das Handy zwar an den Micro-USB gesteckt, dabei aber vergessen habe, den Stecker auf der anderen Seite auch ganz in die Steckdose zu drücken. Es wurde anschließend über die Nacht nicht aufgeladen. Am nächsten Morgen habe ich festgestellt, dass das Handy trotz regelmäßiger Benutzung am Vortag noch immer die Hälfte der Ladung hatte. Ohne weiteres Aufladen schaffte das Lumia 720 noch einen ganzen Tag. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für ein befreiendes Gefühl ist, wenn man nicht dauernd die Akku-Anzeige im Blick haben und an ein Ladekabel denken muss. Wenn man selbst dann noch versucht den Akku zu schonen (Abschalten in der Nacht, Stromspar-Modus), könnte ich mir vorstellen, dass man einen Wochenend-Trip ohne Ladekabel übersteht.

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Klar, das Lumia 720 hat weder ein super shiny hochauflösendes HD-Display noch einen Quad-Core Prozessor, aber es genüg voll und ganz für den täglichen Gebrauch. Das Lumia 720 war der eigentliche Anstoß für diesen Blogpost. Es hat gezeigt, dass moderne Smartphones auch mehr als einen Tag durchhalten können und vor allem, wie angenehm diese gewonnene „Strom-Unabhängigkeit“ ist.

Doch zurück zum generellen Problem: Der leistungsmäßige Fortschritt müsste überhaupt nicht gänzlich zurückgeschraubt werden, nur die Priorität in eine andere Richtung verändert werden. In der Technologiebranche gibt die etwas unbekannte Einheit „Performance per watt“, die angibt, die wie Leistung man pro Watt Energie bekommt. Es geht mir darum, die Leistung annähernd gleich zu lassen, aber die Performance per watt deutlich zu steigern. Das effizientere Nutzen von Energie soll im Vordergrund stehen und die Chips daraufhin optimiert werden. Gleichzeitig gibt es die üblichen Fortschritte bei Akku-Technologien, was die Laufzeit automatisch steigen lässt. Wir brauchen auch keine noch größeren Touchscreens mit Auflösungen, die ein menschliches Auge nicht von einer anderen unterscheiden kann. Die Retina-Aussage von Apple gefällt mir dazu übrigens sehr gut: Wozu ein noch hochauflösenderes Display, wenn unser Auge diese extra Auflösung bei normalem Abstand gar nicht wahrnehmen kann? Nur um es auf die Spezifikationen-Liste schreiben zu können und gleichzeitig die Akkulaufzeit zu verkürzen? Ein sehr schlechter Deal.

Zu guter Letzt bleibt da noch das Betriebssystem und die Software. Gerade befinden wir uns an einem Punkt, wo Android scheinbar endlich die benötigte Hardware zur Verfügung hat, damit das Ruckeln/Laggen nicht mehr negativ auffällt. iOS und Windows Phone scheinen sich generell besser für eine geringere Rechenleistung zu eignen. Vergleicht man ein Low-End Android-Gerät mit dem Lumia 520/620 merkt man den Unterschied sehr deutlich. Ich frage mich außerdem, ob das Android-Ruckeln den Konsumenten einfach nicht auffällt, es ihnen schlichtweg egal ist oder sie sich nicht mehr Leistung von ihrem günstigen Smartphone erwarten. Jedenfalls sollte es bei heutigem Stand der Technik auf alle Fälle möglich sein – zumindest ab dem Mid-Range-Bereich – eine flüssige Bedienung des Betriebssystems auf die Reihe zu bekommen. Das ist nämlich einer der Grundsteine für die Verlängerung der Akkulaufzeit. Denn warum kann Nokia einfach so leistungsschwächere Hardware einbauen und dadurch mehr Akkulaufzeit herausholen? Weil sie dank Windows Phone eine technische Grundlage haben, die das erlaubt. Ohne dass es dem Benutzer negativ auffällt. Ein Mid-Range Lumia 720 fühlt sich bei der Bedienung des Core-Betriebssystems nämlich genauso flüssig an wie ein Lumia 925.

Ich würde mir wünschen, dass die Hersteller endlich mit dem Leistungs-Wettrüsten aufhören und mehr auf die gesamte User Experience schauen. Denn genau dort ist eine längere Akku-Laufzeit Gold wert. Eine deutliche Akku-Steigerung wäre außerdem ein gut vermarktbares/vermittelbares Feature. Ich verstehe gar nicht, warum Nokia dieses Feature beim Lumia 720 nicht mehr in den Vordergrund stellt. Für mich persönlich ist der Umstand, dass ich zwei Tage ohne Aufladen auskomme, nämlich das Killer-Argument für das 720.

Was meint ihr? Würdet ihr auf die nächste Leistungs-Generation verzichten und lieber mehr Akkulaufzeit haben?